Die negativen Auswirkungen der Landkonzentration (Landgrabbing) können nur dann angemessen verstanden und beschrieben werden, wenn auch die Gegenstruktur, eine Agrarstruktur mit breiter Eigentumsstreuung mit betrachtet wird.
Der Vergleich in dieser Hinsicht zwischen Westdeutschland, der ehemaligen Bundesrepublik und Ostdeutschland, der ehemaligen DDR liegt nahe.
In Westdeutschland gibt es, auch 2018, eine Agrarstruktur, die durch eine Vielzahl von Familienbetrieben charakterisiert ist. Und wenn auch in Westdeutschland in den letzten drei Jahrzehnten eine dramatische Abnahme der Zahl der bäuerlichen Betriebe stattgefunden hat (ein Bauernverbandsfunktionär aus Niedersachsen hat kürzlich mit Bezug auf seinen Heimatlandkreis fabuliert, daß in Zukunft dort nur noch 60 landwirtschaftliche Betriebe mit einer Flächenausstattung zwischen 1.000 und 1.500 ha überleben würden), werden in Westdeutschland die Flächen der aufgebenden Betriebe in der Regel verpachtet, nicht verkauft. Das bedeutet für Westdeutschland, daß trotz der umfangreichen Betriebsaufgaben in den letzten Jahrzehnten die breite Streuung von Landeigentum weitgehend erhalten geblieben ist. Ein Indikator dafür ist das Preisniveau für landwirtschaftliche Flächenverkäufe, das aufgrund des geringen Angebotes sehr hoch ist und das Preisniveau in Ostdeutschland um den Faktor 2-3 übersteigt.
Die breite Eigentumsstreuung bietet für die regionale Wirtschaft viele Vorteile, beispielsweise die Möglichkeit, daß kleinere Betriebsneugründungen, die auf vormals aufgegebenen Betrieben aufbauen können. Wenn solche Neugründungen dann die in der Landwirtschaft erzeugten Produkte auf dem Hof weiter verarbeiten und teilweise ab Hof direkt vermarkten, können kleine und sehr rentable Betriebe entstehen.
Und was passierte in wirtschaftlichen Krisen, in denen möglicherweise die Möglichkeiten der Beschäftigung im Sekundär- und Tertiarsektor erheblich zurückgingen? Es bestände die Möglichkeit in Westdeutschland, landwirtschaftliche Betriebe wieder neu zu begründen, und dies aufgrund der breiten Streuung an landwirtschaftlichem Boden.
In Ostdeutschland stellt sich die Situation dagegen vollständig anders dar. Mit der „Bodenreform“ 1945/46 wurde ein großer Teil der landwirtschaftlichen Flächen enteignet. Dies führte über verschiedene weitere Prozesse (s. dazu ausführlich Gerke, 2008, Kap. IV) dazu, daß 1990 ein großer Anteil der ostdeutschen landwirtschaftlichen Flächen von der bundeseigenen Treuhand, später Bodenverwaltungs- und Verwertungsgesellschaft (BVVG) verwaltet, verpachtet und später verkauft wurden. Und da die Verpachtung und der Verkauf vor allem oder nahezu ausschließlich an Großbetriebe erfolgte (s. dazu Landgrabbing in Ostdeutschland und Osteuropa), wurde durch die staatliche Bodenpolitik in Ostdeutschland eine breite Streuung von landwirtschaftlichem Besitz und Eigentum von Anfang an verhindert. Die Konzentration von Agrarland (Landgrabbing) war ein Prozess, der von 1990 an präsent war. Ab 2007/2008 kam ein die Landkonzentration weiter steigernder Mechanismus hinzu. Externe Investoren begannen in größerem Maße Anteile von Großbetrieben zu übernehmen. Dieses Phänomen ist in den Regionen besonders ausgeprägt, in denen die BVVG/Treuhand nach 1990 hohe Anteile landwirtschaftlicher Flächen verwaltete, in Teilen Vorpommerns oder in der Brandenburger Uckermark, wo mittlerweile bis über 40% der landwirtschaftlichen Betriebe in der Hand externer Investoren sind.
Was sind die Konsequenzen dieser Landkonzentration im Osten?:
Die Dominanz von Großbetrieben in Ostdeutschland führt zu einer mangelnden Flexibilität in der landwirtschaftlichen Produktion. Druschfrüchte wie Getreide und Raps dominieren zusammen mit Biogas- Mais (dessen Erzeugung wahrhaftig nicht nachhaltig genannt werden kann) den Anbau, während die Produktionsbereiche, die zu einer hohen Flächenproduktivität führen, unterrepräsentiert sind. Beispiele dafür sind Hackfrüchte (Kartoffeln, Feldgemüse). Trotz hoher Subventionen für den Aufbau industrieller Tierhaltungsanlagen in Ostdeutschland ist dort der landwirtschaftliche Nutztierbesatz relativ gering. Dabei sind in Ostdeutschland Ackerbau und Tierhaltung in besonderer Ausprägung getrennt, mit kleinräumiger hoher Nährstoffakkumulation in der Umgebung großer Tierhaltungsanlagen und einer auf dem größten Teil der Flächen wenig nachhaltigen Nährstoff- und Humuswirtschaft.
Die großen Betriebe fungieren in der Regel als juristische Personen, nicht als Familienbetriebe, was zu einer reduzierten Haftung beispielsweise von GmbH- Betrieben führt.
Es ist erstaunlich, in welcher Weise die vermeintlich wettbewerbsfähigen Großbetriebe wieder und wieder zusätzliche Subventionen einfordern. Nachdem im letzten Jahr Nässeschäden zu Zusatzsubventionen geführt haben, fordern die Bauernverbände in Ostdeutschland 2018 Trockenschadensbeihilfen.
Der Vorsitzende des Bauernbundes in Brandenburg Gerloff, der Familienbetriebe vertritt, hat in einer Pressemitteilung die Forderung der ostdeutschen Landesbauernverbände mit folgenden Worten richtigerweise kritisiert:
Dürrehilfen würden auf zweierlei Weise den Wettbewerb verzerren, macht der 53jährige Landwirt deutlich: “Sie retten risikofreudige Unternehmer, die sich aufgrund übermäßiger Investitionen in Schwierigkeiten befinden, und bestrafen damit alle Bauern, die sparsam und fleißig gewirtschaftet haben. Und während bei uns Bauern das Privatvermögen berücksichtigt wird, bleibt es bei den Eigentümern von Agrargesellschaften außen vor – entsprechend schnell wird dort Existenznot festgestellt.”
Die Landkonzentration in Ostdeutschland bedeutet auch eine Vermögenskonzentration im landwirtschaftlichen Bereich auf wenige Personen in einem historisch einmaligen Ausmaß.
Die Konzentration von Land auf wenige Personen macht Regionen abhängig von wenigen Landeigentümern. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten werden damit beschränkt.
Generell ist es schon beeindruckend für die Lobbysteuerung der etablierten deutschen Medienlandschaft, daß diese weitgehend erst zu einem Zeitpunkt über Landkonzentration in Ostdeutschland zu berichten begann, als die Übernahme der dortigen Großbetriebe durch externe Investoren bedeutsam wurde. Lange Zeit wurden die ostdeutschen Großbetriebe der ehemaligen DDR- Agrarnomenklaturkader durch genau diese Medien gehätschelt und geschützt, also das Landgrabbing zwischen 1990 und 2010 ignoriert.
Comments