Einleitung
Bäuerliche Landwirtschaft war lange Zeit ein Begriff für eine rückwärts gewendete Wirtschaftsweise. Diese wird aber in zunehmendem Maße positiv besetzt, man kann sagen, daß bäuerliche Landwirtschaft in Mode gekommen ist. Dies gilt, seit sich mit einer industrialisierten Landwirtschaft in einigen Regionen Europas das Gegenmodell zur bäuerlichen Landwirtschaft durchgesetzt hat, so auch in Ostdeutschland.
Was ist das, die bäuerliche Landwirtschaft? Und was ist mit einer Begriffsbestimmung für die Zukunft dieser Landwirtschaft gewonnen?
Zum Begriff
Bäuerlich ist eine Landwirtschaft, die nachhaltig und über Generationen wirtschaftet, mit besonderer Vorsicht beim Energie- und Ressourceneinsatz, nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern auf langfristige wirtschaftliche Stabilität ausgerichtet ist. Bäuerliche Landwirtschaft ist so in einem umfassenden, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Sinn selbstverantwortlich für die eigene Wirtschaftstätigkeit. Sie ist deswegen auch vielfältig, mit verschiedenen Wirtschaftszweigen, die aufeinander angewiesen sind und sich ver- und bestärken und dabei den ökonomischen und ökologischen Erfolg erhöhen. Bäuerliche Landwirtschaft bedeutet, wie z.B. W. Berry (1987) betonte, auch die Mitarbeit der Familienmitglieder im bäuerlichen Familienbetrieb. Es ist naheliegend, daß solche Familienbetriebe als natürliche (nicht- juristische) Wirtschaftspersonen für bäuerliche Landwirtschaft besonders prädestiniert sind, vor allem aufgrund der umfassenden wirtschaftlichen Verantwortung und der über Generationen handelnden Betriebsführung.
Dieser Umriss stellt keine Idealisierung oder Idyllisierung einer bestimmten Form von Landbewirtschaftung dar, sondern beschreibt wesentliche Notwendigkeiten in der Bewirtschaftung, die heute in den westeuropäischen Industriestaaten, aufgrund des gegenwärtigen und temporären hohen Energie- und Rohstoffeinsatz in der Landwirtschaft, in den Hintergrund getreten sind.
Bäuerliche Landwirtschaft steht damit im Gegensatz zu einer „Industrialisierten Landwirtschaft“. Diese ist, bei einem hohen Energie- und Rohstoffeinsatz auf kurzfristige Gewinnmaximierung orientiert und betrachtet Boden und natürliche Ressourcen als ausbeutbare Güter, ohne die Frage nach der Nachhaltigkeit der Produktion zu stellen.
Bäuerliche Landwirtschaft in der Auseinandersetzung
Die Entwicklungen im 20. Jahrhundert haben die Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Produktion wesentlich erhöht. Ein Mehr an Energie (anfänglich durch Dampfmaschinen, dann in Form elektrischer Energie und schließlich eine mechanisierte Bewirtschaftung mit Dieselmotoren)
und an Rohstoffen (vor allem verbesserte Versorgung mit Pflanzennährstoffen) hat zu deutlichen Ertragssteigerungen geführt, aber auch zu einer wachsenden Abhängigkeit der Landwirtschaft von einer Vorleistungsindustrie und aufgrund der veränderten Ernährungsgewohnheiten zu einer starken Abhängigkeit bei der Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte vom nachgelagerten Bereich. Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion war insofern erfolgreich als sie die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in Europa ermöglicht hat.
Die sinnvolle Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion schlägt mittlerweile in einen exzessiven Energie- und Rohstoffeinsatz um, der die natürlichen landwirtschaftlichen Produktionsgrundlagen bedroht.
Ein wichtiges Symptom der Fehlentwicklung dieser „Industriellen Landwirtschaft“ zeigt sich in der Stickstoff (N)- und Phosphat- (P) Bilanz.
Die Herstellung mineralischer N- Düngemittel auf Basis des Haber-Bosch- Verfahrens macht zwischen 30 und 80% des Energieverbrauchs der landwirtschaftlichen Produktion aus. Durch überschüssige N- Düngung und die weiträumige Trennung von Ackerbau und Tierhaltung in der sich industrialisierenden Landwirtschaft besteht seit Jahrzehnten ein N- Überschuss in einer Größenordnung von im Mittel 100 kg/ha jährlich. Dieser Überschuss hat Nitrat (NO3–)- Auswaschung ins Grundwasser, Ammoniak (NH3)- und Lachgas (N2O)- Emissionen zur Folge, die Kehrseite agrarindustrieller Produktion.
Die ressourcenintensive, industrielle Landwirtschaft kommt an ihre Grenzen. Phosphat (P) ist ein essentieller Hauptpflanzennährstoff, dessen Rohstoffreserven weltweit sehr begrenzt sind (Römer, 2009; Gerke, 2010). Eine Kreislaufwirtschaft für diesen Nährstoff ist zukünftig nicht nur sinnvoll und geboten, sondern wird durch die knappen Ressourcen erzwungen.
Eine bäuerliche Wirtschaftsweise ist für eine Kreislaufwirtschaft prädestiniert, insbesondere in Kombination mit der ökologischen Bewirtschaftung. Die ökologische Wirtschaftsweise ermöglicht eine besonders nachhaltige Bewirtschaftung. Sie wurde in bäuerlichen Betrieben für die Praxis entwickelt.
Auch agrarindustrielle Großstrukturen in Ostdeutschland und einigen Ländern Osteuropas erfüllen formal die Auflagen des ökologischen Landbaus. Wiederholte Betrugsskandale in den agrarindustriellen Biobetrieben unterstreichen, daß eine ökologische Bewirtschaftung wesentlich an bäuerliche Landwirtschaft gebunden ist.
Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist in Ostdeutschland und den meisten Ländern Osteuropas, in Kombination mit einem geschichtlich einmaligen Großgrundbesitz, weit fortgeschritten (Gerke 2015, in Bodenatlas).
Dagegen bieten die meisten Länder West- und Mitteleuropas bis heute die Möglichkeit einer flächendeckenden, bäuerlichen, familienbetriebenen Landwirtschaft.
In Deutschland gibt es eine seit vielleicht 10 Jahren wieder anwachsende Akzeptanz für bäuerliche Landwirtschaft. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für eine neue Blüte bäuerlicher Landwirtschaft zumindest in Westdeutschland gegeben.
Nun gibt es eine starke Lobby für eine agrarindustrielle Bewirtschaftung, die ein Wiederaufblühen bäuerlicher Landwirtschaft verhindern und auch weiterhin verhindern wollen.
In Ostdeutschland und anderen osteuropäischen Staaten waren diese Lobbyisten nach 1990 besonders erfolgreich. Durch bodenpolitische Entscheidungen wurde Großgrundbesitz so stark gefördert, daß heute beispielsweise in Ostdeutschland zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen von juristischen Personen bewirtschaftet werden. Die EU- Agrarbeihilfen verstärken hier, wie in Osteuropa diesen Effekt der Agrarstrukturpolitik gegen bäuerliche Landwirtschaft (Gerke, 2015, in Bodenatlas).
Aber die Bekämpfung bäuerlicher Landwirtschaft wird nicht allein machtpolitisch über die selektive Subventionierung der Agrarindustrie abgesichert, sondern diese beginnt sehr viel früher, schon bei der Begriffsbestimmung bäuerlicher Landwirtschaft.
Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), agrarindustrieller Vorreiter des Deutschen Bauernverbandes (DBV) (Niemann, 2003), macht sich in dem „Newsletter 4/2015“ Gedanken über bäuerliche Landwirtschaft und industrielle Agrarproduktion. A. Balmann, Vorsitzender des DLG-Ausschußes „Entwicklung ländlicher Räume“ nimmt bei Kritikern der Agrarindustrie eine Mythenbildung der Landwirtschaft wahr, verbunden mit einer auf der politischen Ebene ideologisierten Debatte. Solange solche Vertreter der Agrarindustrie wie A. Balmann sich nicht mit der Ideologie der Exportsubventionen für Agrarerzeugnisse, nicht mit der Ideologie der staatlichen Förderung industrieller Mastanlagen und Schlachthöfe, sich nicht mit der Ideologie der 5,5 Milliarden € EU-Agrarbeihilfen allein in Deutschland vor allem für eine kleine Gruppe von Marktfrucht-Großbetrieben und nicht mit der Ideologie der staatlichen Bodenverteilung in Ostdeutschland zugunsten weniger Großgrundbesitzer auseinandersetzen, solange haben diese Interessenvertreter keine Kompetenz, über Ideologie und Mythos zu urteilen. Bedauerlich ist jedoch, daß die kleine Gruppe von ideologisierten Agrarindustrievertretern die agrarpolitische Richtung in Deutschland bis heute bestimmt.
Wie weit dieser Einfluss reicht, zeigt sich am Stichwort „Bäuerliche Landwirtschaft in Wikipedia. Wikipedia, die sich „Freie Enzyklopädie“ nennt, führt unter dem Stichwort „Bäuerliche Landwirtschaft“ als erstes auf, daß es sich um eine Tautologie handle, da jeder Betreiber von Landwirtschaft Bauer sei (Wikipedia, Ausdruck vom 19.1. 2015). Dieser Versuch der Demontage des Bäuerlichen durch Verwischung ihres Sinnes wird bei Wikipedia wenige Sätze später, wo Bäuerliche Landwirtschaft als Gegensatz zu Agrarfabriken gefasst wird, wieder zurückgenommen; bäuerliche Landwirtschaft aber weiter als „Schlagwort“ bezeichnet. Die an dieser Stelle bei Wikipedia vorgenommene widersprüchliche und polemische Umreißung des Bäuerlichen wird offensichtlich durch eine Lobby mit hoher Definitionsmacht vorgenommen. Es benötigt wenig Phantasie, diese definitorische Zerstörung des Bäuerlichen mit dem Wirken einer politisch und wirtschaftlich mächtigen Agrarindustriellen Lobby zu verbinden. Die Negation des Bäuerlichen als besonderer Wirtschaftsweise erschwert die Charakterisierung und damit die Infragestellung von Agrarindustrie.
Gegenüber den Befürwortern agrarindustrieller Strukturen, den Vertretern des Deutschen Bauernverbandes und den meisten deutschen Landwirtschaftsministern quer durch die Parteien, hat sich vor mehr als 15 Jahren eine Gruppierung aus landwirtschaftlichen Organisationen (z.b. AbL, ökologische Anbauverbände), Umweltverbänden (z.B. NABU, BUND), Tierschutzverbänden (z.B. deutscher Tierschutzbund, Provieh) gebildet, die als Agraropposition ein eigenes Agrarbündnis vertreten. Von diesem Bündnis, das als wesentliche Gemeinsamkeit der Widerstand gegen Agrarindustrie eint, sollte man ein dezidiertes Interesse und Unterstützung bäuerlicher Landwirtschaft nach außen erwarten. Anlässlich des UN- Jahres landwirtschaftlicher Familienbetriebe hat die Agrarsoziale Gesellschaft in Göttingen dazu im Oktober 2014 eine Tagung durchgeführt, auf der F. Thomas als „Vertreter“ des „Agrarbündnis“ über bäuerliche Landwirtschaft referierte. Thomas verbreitete dort erstaunliche Thesen: „Der Bewegung für eine bäuerliche Landwirtschaft geht es um etwas anderes, als um den Familienbetrieb.“ Ein merkwürdiger und unverständlicher Satz, wenn man bedenkt, daß weit mehr als 90% der bäuerlichen Betriebe in Deutschland Familienbetriebe sind. Thomas (2014) dort wörtlich weiter: „Nur wenn die Landwirtschaft nicht der Kraft der sogenannten freien Märkte überlassen wird und die Gesellschaft gestaltend eingreift, können Familienbetriebe dazu beitragen, daß Ziele der Bewegung für eine bäuerliche Landwirtschaft erreicht werden.“ Diese Aussage ist skurril, wenn bedacht wird, daß bedingt durch die besonders für Großbetriebe üppigen Agrarsubventionen und die Bodenpolitik im Agrarbereich keine freien Märkte existieren. Klüter (2015) hat die Subventionsabhängigkeit der Landwirtschaft in den deutschen Bundesländern aufgelistet. Diese liegt in den ostdeutschen Bundesländern zwischen 35 und 45%, in den westdeutschen Bundesländern zwischen 15 und 40%. Wie Thomas da von der Kraft freier Märkte fabulieren kann, bleibt sein Geheimnis. Hermann Priebe hat schon 1985 ausführlich belegt, daß der bäuerliche Familienbetrieb durch die Agrarpolitik als Adressat für Agrarsubventionen genannt wird, die Masse der Subventionen dann aber tatsächlich an eine kleine Gruppe von Großbetrieben geht. Das hat sich bis heute nicht geändert. Nicht der „freie Markt“ im Agrarbereich ist das Problem, sondern die Subventionierung vor allem von Großgrundbesitz und Großbetrieben.
Der Versuch von F. Thomas zur Umgrenzung des Bäuerlichen ist unreflektiert, widersprüchlich und unsinnig. Thomas differenziert nicht nach Familienbetrieben und GbR als natürlichen Personen und juristischen Personen auf der anderen Seite. Industriell ausgerichtete Betriebe sind in der Regel juristische Personen, auch wenn diese von Familien betrieben werden.
Aber Thomas sagt in diesem zitierten Satz noch mehr, nämlich dass die Gesellschaft eingreifen muss, damit Familienbetriebe überhaupt bäuerliche Landwirtschaft betreiben könnten. Die Landwirtschaft betreibenden Familienbetriebe sind offenbar nach der Auffassung von F. Thomas allein, ohne eine „gestaltende Gesellschaft“, unfähig zum Bäuerlichen. Neben dieser, durch keine Substanz gerechtfertigten Überheblichkeit, vergisst F. Thomas, daß Initiativen zur artgerechten Tierhaltung und der ökologische Landbau gerade im bäuerlichen Familienbetrieb entwickelt wurden. Die EU-Kommission mit ihrer Vielzahl von universitären Agrarexperten hat 1991 Richtlinien für die Förderung des ökologisches Landbaus übernommen, die in der Schweiz in den 1930er Jahren auf wenigen bäuerlichen Höfen entwickelt wurden.
Bäuerliche Landwirtschaft ist in Mode. Wie gezeigt, wird sie von zwei Seiten schon durch zweifelhafte Begriffsbestimmungen in Frage gestellt.
Ziel der agrarindustriellen Lobby ist es, die Differenzierung zwischen bäuerlicher Landwirtschaft und Agrarindustrie einzuebnen, auch um agrarpolitischen Reformbedarf zugunsten einer bäuerlichen Landwirtschaft argumentativ auszubremsen. Auf der anderen Seite gibt es eine Diskreditierung von Familienbetrieben und die Trennung von bäuerlicher Bewirtschaftung und familienbetriebener Landwirtschaft. Familienbetriebe werden sogar als Trugbild oder Schimäre bezeichnet.
Daß es auch anders geht, zeigt zeigen die verbandsübergreifenden Forderungen eines „Aktionsprogramms nachhaltige Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern 2015“ (Kröger et al., 2015). Darin gibt es Konsens über eine erstrebenswerte bäuerliche Landwirtschaft mit Kriterien, die hier schon dargestellt wurden. Konsens über bäuerliche Landwirtschaft zwischen vielfältigen Interessengruppen ist also möglich.
Literatur:
Heinrich-Böll Stiftung et al. (2015): Bodenatlas. Berlin und Potsdam.
Gerke, Jörg (2010): Soil Sci., 175, 417-425.
Klüter, Helmut (2015): Wertschöpfung und Erzeugerstrukturen in der Landwirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns.. In HRG: J. Kröger, T. Beil, B. Roloff. Schwerin.
Kröger, J., T. Beil, B. Roloff (2015. Aktionsprogramm nachhaltige Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern 2015. Schwerin.
Niemann, Eckehard (2003): Das Interessengeflecht des Agrobusiness. In: T. Leif, R. Speth (HRG): Die stille Macht- Lobbyismus in Deutschland. Wiesbaden.
Römer, Wilhelm (2009): Berichte über Landwirtschaft, 87, 5-30.
Grundlegend zur Bestimmung des Bäuerlichen:
Priebe, Hermann (1985): Die subventionierte Unvernunft. Siedler, Berlin.
Für die USA mit Betonung auf „Family Farming“:
Wendell Berry (1987): Home economics. North point press. New York.
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